Erschienen im Gießerjungen Nr. 3 2010 des Freundeskreis Düsseldorfer Buch ’75 e.V.:

„Naturbilder zeigen uralte Weisheiten und faszinieren den Leser. Das Haiku, geformt in der Strenge von fünf – sieben – fünf Silben wirft jeweils neues Licht auf archaisch Gewusstes. Die Wortlinie lässt keine Beliebigkeit zu.
Es gilt, einen einzigen Natureindruck, durch den Herzschlag des Haikus zu erhellen und begreifbar zu machen.
Maria Stalder gelingt das in beeindruckender Form. Uns liegt ihr neues Buch vor. Bereits der Einband beweist das tiefe Eintauchen der Autorin und Malerin in diesen Bereich. Die kargen, in apollinischer Sprache gehaltenen Bilder, unterstützen das Bemühen. Man fühlt aber auch, wie die Autorin sich liebevoll dieses neue Gedichtsmedium erschließt und für uns erfahrbar macht.
Für den Frühling: „Knospen brechen auf. – Im Licht ein Meer von Blüten. – Das Farbenspiel lockt.“ Für den Herbst: „Blattlos die Weide – Tief gebeugt verstummt der Wind – In ihren Zweigen.“
Neugierde ist das Resultat dieser beiden kleinen Kostproben, ebenso die Hinführung zur Genese des Haiku“

(Hilde Gumnior-Schwelm M.A. – Juli 2010)
Rezension Dr. Manfred Luckas
„Nach Goethe ist jeder Augenblick der Repräsentant einer ganzen Ewigkeit. Diesem Anspruch sind auch die Haikus verpflichtet, denen sich die Mettmanner Malerin und Autorin Maria Stalder in ihrem Buch „Poesie des Augenblicks“ verschrieben hat. Das schön gestaltete, mit eigenen Illustrationen bebilderte Büchlein bietet eine besinnliche Lektüre, die den Leser sofort in ihren Bann schlägt. Eine nachhaltige Empfehlung für all die, die in der Hektik des Alltags literarisch zur Ruhe kommen möchten.“

www.manfredluckas.de

Rezension
Maria Stalder dient der Kunst des Haiku, einer der widerspenstigsten und schönsten Formen der Poesie, vorzüglich. Ursprünglich stammt diese Versform aus Japan, und zwar begann sie mit Tokugawa shonugate, (1603 – 1770). Viele Künstler folgten, doch erst Matsuo Basho (1644 – 1694) erhob diese Form in hohe Literatur. Er bezog seine Lehren von alten religiösen Philosophen. Es ist überliefert, dass Basho monate- und jahrelang an einem Haiku formte, der dann doch so einfach wirkt. Um das Phänomen zu begreifen, müsste man tief in die reiche Geschichte Japans eindringen, was an dieser Stelle nicht das Anliegen darstellt. Hier sei eins seiner Haikus dargeboten, allerdings in English:

Killed by the great snowfall
All dead and withered lied the grass
That lately waved so tall.
Basho

und noch eins

Across the moonlight clear
A maiden singing in the night
Is all the sound I hear.
RANSETSU

Wenn man versuchte zu übersetzen, ginge der Zauber verloren, und man könnte mit dem Filmtitel sagen „Lost in Translation“.
Viele Haikus werden in jedem Jahr komponiert. Die meisten beschreiben Landschaften, Jahreszeiten, Vögel, Insekten, Blumen, Mondphasen und andere Naturphänomene.
Ein Haiku bringt die „Dinge“ auf den Punkt, die „Dinge“, die R. M. Rilke auch „umgebracht“ sieht durch das Laute und die Hast.
Maria Stalder deutet ebenfalls an oder in einem anderen Zusammenhang bringt sie das Naturbild auf den Punkt. Trotzdem sind dem Leser, der sich der Muße anvertraut, unendliche Deutungsmöglichkeiten belassen. Haikus zu genießen, bedarf es des Respekts und der Besinnung, sonst bleiben dem Leser nur die wenigen Silben, und er erfährt nicht seine Inspiration für eine erfüllte Stunde oder weit mehr. Phantasie schweifen lassen erwünscht. Es ist eine Aufgabe, ein solches Buch, von Maria Stalder gestaltet, durchzuleben.

Oh summer moon, we pray,
Open the wind-bag of the Gods
And let the zephyr’s play.
KISEN

Frau Hilde Gumnior-Schwelm M.A.

Enge Kommunikation

Maria Stalder hat, erschienen im Schweizerhaus Verlag, der in Erkrath bei Düsseldorf seinen Sitz hat, ein Bändchen mit Haiku herausgegeben. Es sind naturverbundene Gedichte, den Jahreszeiten folgend, dem Frühling über Sommer und Herbst in den Winter hinein, nahe stehenden Menschen gewidmet, dem Partner, den Kindern, den Enkeln.
Das Haiku hat seinen Ursprung in Japan. Im 14. und 15.Jahrhundert trafen sich Dichter und ihre Gäste zu großen Versammlungen, um einander kleine Texte vorzutragen. Sie erinnerten an die Vorgänge in der Natur, das Blühen, Reifen und Vergehen, und erzeugten in den Menschen das Gefühl, in diesem Kreislauf geborgen zu sein. So wenigstens wurden die japanischen Texte von den Europäern verstanden.
An Maria Stalders Gedichten lässt sich dieses Schreiben, Lesen und Sprechen nachvollziehen. So heißt es in einem Haiku:
Frühlingssonne wärmt,
ein leichter Regen fällt sacht
auf grüne Erde.

Wenn man dieses Haiku unter dem Gesichtspunkt der Information betrachten würde, so wäre es ohne Bedeutung, denn wir wissen alles, was es sagt, schon lange und immer wieder. Aber es kommt der Haiku – Dichterin darauf an, das Selbstverständliche, das meist im Alltag untergeht, in Erinnerung zu rufen.

Denke daran, dass jetzt und hier die Frühlingssonne wärmt! Spüre den leichten Regen, der sacht auf die grüne Erde fällt!

Die Japaner haben das Schreiben der Haiku als Spiel verstanden, Spiel mit Worten und Bildern und Bedeutungen. Komisches wird gesucht, Absurdes auch, Unerwartetes.

Dazu ein Beispiel von Matsuo Bashno, der im17.Jahrhundert

lebte: Der alte Weiher. Ein Frosch springt hinein. Oh! Das Geräusch des Wassers! – Oder in anderer Version: Uralter Teich. Ein Frosch springt in ein. Plop! – Oder noch eine andere Fassung: Auf dem Seerosenblatt der Frosch. Aber was macht er für ein Gesicht!

Maria Stalder hat deutsche Bilder und deutsche Gefühle in ihren Gedichten ausgedrückt.

Die Abendsonne,
bevor sie untergeht, spielt
sacht mit den Wellen.

Wir sehen vertraute Bilder, den ruhigen Sonnenuntergang und das spielende Wasser, den weichen Gegensatz zwischen beiden, die Ahnung vom Ende.

Das Büchlein, von Maria Stalder geschrieben und heraus gebracht, eignet sich als Grußsammlung:

Man schreibt eine Botschaft im Frühling zum Geburtstag des heran wachsenden Neffen –

Verwurzelt ganz fest,
dem Himmel entgegen strebt,
wächst langsam der Baum.

Im Sommer, wenn die Schwester auf eine neue Liebe hofft –

Glühwürmchen schimmern
in der lauen Sommernacht,
Liebeslust erwacht.

im Herbst, wenn dem Vater vor der Zeit des Ruhestandes graust –

Gleich einer Mauer
blockieren Nebelbänke
Licht und Gedanken.

im Winter, wenn mancher Vernichtung vor Augen hat –

Die Deiche brechen.
Dieser Fluss reißt Häuser mit.
Nichts bleibt, wie es ist.

Es gibt noch ein Kapitel, Verschiedenes genannt, wenn einer an Auswanderung denkt oder eine neue Aufgabe lockt –

Fußspuren im Sand,
Wellen spielen am Ufer,
zurück bleibt der Strand.

Das moderne deutsche Gedicht sucht die ungewöhnliche Situation und den ungewöhnlichen Menschen, der ihr ausgesetzt ist. Er spürt Verlorenheit, keine Familie, keine Gemeinde, keine Nation gibt ihm Halt.
Die Haiku, die Maria Stalder ihren Lesern zum Gebrauch anbietet, versprechen Geborgenheit in die Familie, unter Freunden und Vertrauten. Auch in der Natur. Ohne dass Gefährdungen verschwiegen werden.

Der Leser erhält ein paar Stichworte über die Entwicklung des Haiku, wenn er das Büchlein erwirbt. Und Maria Stalder hat ein paar Bilder dazu gemalt, strotzende Blüten im Frühling und Sommer, welkende Blätter im Herbst, kahle Bäume, ungastliche Häuser im Winter. Man kann Stimmungen empfangen und weiter geben.

Wilhelm Riedel
Schriftsteller